Koenigsegg Jesko

Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären 80 Jahre alt und der Vater eines erfolgreichen Autobauers. Hinzu kommt, dass Sie gern gesehener Gast auf den Automessen sind, auf denen Ihr Sohn seine Fahrzeuge ausstellt. Und nun soll ein neues Modell vorgestellt werden, der Nachfolger eines weltweit beliebten Sportwagens, der bis heute den Rekord des schnellsten straßenzugelassenen Produktionsautos hält. Wären Sie interessiert daran, wie genau dieses Auto aussieht, welche Leistungsdaten es hat und vor allem, wie es heißen soll? Vermutlich schon. Entsprechend interessiert würden Sie die vorab ausgehändigten Presseunterlagen durchlesen und bei einem Modellnamen wie ‚Dominera‘ liebevoll einwenden, dass dieser wohl international nicht ideal gewählt wäre. Was Sie an dieser Stelle jedoch nicht wissen: Die von Ihnen gelesenen Presseunterlagen wurden exklusiv für Ihre Augen gedruckt und entsprechen nicht ganz der Wahrheit. Zwar sind die technischen Daten und die Abbildungen korrekt, nicht jedoch der geplante Modellname.

Genau diese Geschichte trug sich im Vorfeld des Genfer Autosalons im schwedischen Ängelholm zu. Firmenchef Christian von Koenigsegg und sein Team unternahmen alles, um seinen Vater Jesko von Koenigsegg im Ungewissen über das neue Modell zu lassen. Es gelang ihnen tatsächlich und so erfuhr der inzwischen 80-jährige ehemalige Jockey und Unternehmer erst auf der offiziellen Pressekonferenz in Genf durch Christians Frau Halldora davon, dass der neue Supersportwagen den Namen Jesko erhalten würde. Es folgten emotionale Szenen, bei denen manche Träne verdrückt oder offen gezeigt wurde. Selbst einige Stunden später bei einem gemeinsamen Bier (speziell für Koenigsegg gebraut und ebenfalls unter dem Namen Jesko in Schweden vertrieben) zeigte sich Jesko von Koenigsegg immer noch zutiefst überrascht und begeistert über diese Geste seines Sohnes. Diese resultierte aus der konstanten Hilfe, die Christian in der Anfangszeit seiner Firma vor 25 Jahren erhalten hatte. Bis heute weiß er, dass er sich jederzeit mit Fragen an seinen Vater wenden kann.

Doch nicht nur die außergewöhnliche Geschichte hinter der Namensgebung ist interessant. Der neue Koenigsegg Jesko tritt ein schwieriges Erbe an. Immerhin steht das Vorgängermodell Agera in der RS-Version im Guiness-Buch der Rekorde mit einer im November 2017 in Nevada erreichten Höchstgeschwindigkeit von 447,23 km/h im Durchschnitt über zwei Läufe. Hinzu kommen die Rekorde für 0-400-0 km/h in 33,29 Sekunden, die Beschleunigung aus dem Stand auf 400 km/h in glatten 24 Sekunden sowie die schnellste durchfahrene Meile und den schnellsten durchfahrenen Kilometer. Mit dem Jesko möchte Koenigsegg an derartige Erfolge anknüpfen und sich auf diversen bekannten Rennstrecken in die Rundenrekordslisten eintragen. Zudem soll die Variante Jesko 300 tatsächlich in der Lage sein, eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 300 mph (482,8 km/h) zu erreichen.

Dafür bringt der Jesko beste Voraussetzungen mit. Im Gegensatz zu im Vorfeld aufkommenden Gerüchten handelt es sich nicht um ein Hybridfahrzeug, sondern nach Angaben von Christian von Koenigsegg um den vermutlich letzten Koenigsegg-Sportwagen mit klassischem Antrieb. Direkt hinter den beiden Insassen sitzt der bekannte, fünf Liter große V8-Biturbomotor, der nun jedoch im Vergleich zum Agera eine nur 12,5 Kilogramm schwere 180-Grad-Kurbelwelle, neue Zylinderköpfe, modifizierte Einspritzdüsen (drei pro Zylinder), ultraleichte Pleuel, neue Kolben und diverse weitere Verbesserungen erhalten hat. Mit normalem Kraftstoff (91 Oktan in den USA, 95 Oktan in Europa) liegt die Leistung bei 1.280 PS. Optional ist wie bereits bei den Vorgängern CCX und Agera eine Variante lieferbar, die E85-Kraftstoff verträgt und damit 1.600 PS entwickelt. Das maximale Drehmoment beträgt 1.500 Newtonmeter, wobei zwischen 2.700 und 6.170 U/min immer mindestens 1.000 Newtonmeter bereitstehen. Um die beiden großen Turbolader bei geringen Geschwindigkeiten schneller ansprechen zu lassen, verbaut Koenigsegg ein Luftblassystem mit 20 Liter großem Presslufttank und 20 bar starkem Luftstrom im Niedrigdrehzahlbereich. Gleichzeitig sorgt dieses System auch dafür, dass die Katalysatoren im Abgasstrang schneller auf Betriebstemperatur kommen.

Für die Kraftübertragung auf die Hinterräder entwickelte Koenigsegg das neue ‚Light Speed Transmission‘ (LST) getaufte Neungang-Getriebe mit sieben nass gelagerten Kupplungen an drei Achsen. Es verzichtet auf Synchronringe und ermöglicht zugleich Gangwechsel zwischen allen verfügbaren Gängen in unglaublichen Geschwindigkeiten. Dies liegt daran, dass die bisher eingelegte Fahrstufe ausgekuppelt und zeitgleich der neu angewählte Gang eingekuppelt wird. Gleichzeitig soll das gesamte neue Getriebe inklusive integriertem Startermotor, Flüssigkeiten und Ölpumpe lediglich 90 Kilogramm auf die Waage bringen. Zum Vergleich: Ein modernes Doppelkupplungsgetriebe mit sieben Gängen, wie es beispielsweise Bugatti im Chiron verwendet, kommt locker auf 140 Kilogramm. Gangwechsel erfolgen wahlweise über Wippen hinter dem Lenkrad oder durch einen Schalthebel auf dem Mitteltunnel.

Im Vergleich zum Agera erhält der Jesko ein neues Carbon-Monocoque, das um 40 Millimeter verlängert und um 22 Millimeter erhöht wurde. Damit steigen innen die Bein- und Kopffreiheit und erlaubt größere Türen, die weiterhin an den patentierten ‚Dihedral Synchro-Helix Actuation‘-Scharnieren sitzen. Diese wurden jedoch weiterentwickelt und heben nun die Türen beim Öffnen gezielt an, um Kontakt zum Bordstein zu vermeiden. Wie beim parallel angebotenen Hyper-GT Regera verfügt der Jesko über voll-automatisierte Türen und Hauben, die auf Knopfdruck elektrisch öffnen und schließen. Der verlängerte Radstand sorgt in Kombination mit dem erstmals auch an der Vorderachse eingesetzten Triplex-Federungssystem mit drittem Dämpfer zwischen den Federbeinen, aktiven Dämpfern und einer neuen Hinterachslenkung für besseres Fahrverhalten. Optional sind neue Carbon-Räder in vorn 20 und hinten 21 Zoll Größe lieferbar, die mit 5,9 (vorn) und 7,4 Kilogramm (hinten) Einzelgewicht zu den leichtesten Felgen weltweit zählen. Sie sind ab Werk mit Michelin Pilot Sport Cup 2 Reifen bezogen, alternativ aber auch mit Michelin Pilot Sport Cup 2 R Bereifung erhältlich, die jedoch ausschließlich für den Betrieb auf trockenen Straßen zugelassen sind.

Optisch zitiert der Jesko vorherige Koenigsegg-Modelle durch die breite Windschutzscheibe und die charakteristischen Türen, bringt jedoch zugleich neue Elemente mit. So kommen vorn und hinten sehr kompakte LED-Leuchten zum Einsatz. Die gesamte Karosserie wurde im Windkanal und am Computer auf möglichst hohen Abtrieb ausgelegt und erzeugt bei 275 km/h bis zu eine Tonne Anpressdruck. Hierfür sorgen nicht nur der fest verbaute Frontspoiler und der von oben aufgehängte, aktive Heckflügel, sondern auch weitere Feinarbeiten an Karosserie und Unterboden. Beim Jesko 300 sollen andere Spoiler und Flügel zum Einsatz kommen, die weniger Abtrieb produzieren und damit mehr Höchstgeschwindigkeit gestatten. Wie bei allen bisherigen Koenigsegg-Modellen kann das Dach als komplettes Teil abgenommen werden. Aufgrund der Luftführungen im Frontbereich erlaubt der normale Jesko jedoch keinerlei Unterbringung des Daches im Fahrzeug. Beim Jesko 300 soll dies jedoch ermöglicht werden.

Innen verbaut Koenigsegg ebenfalls Innovationen. So befindet sich hinter der Tachoeinheit vor der Windschutzscheibe ein mechanischer G-Force-Messer. Hinzu kommt ein direkt am Lenkrad montiertes, fünf Zoll großes, hochauflösendes SmartCluster-Display, dessen Anzeige sich je nach Lenkradwinkel mitdreht und so immer im Blickfeld des Fahrers bleibt. Zwei kleine Touchscreen-Bereiche an den Lenkradspeichen erlauben den Schnellzugriff auf den Nose-Lift, das Telefon oder Audiofunktionen. Dazu sorgt ein weiteres, neun Zoll großes Touchscreen-Display in der Mittelkonsole für die Anzeige und Bedienbarkeit von Klimatisierungs-, Entertainment- und Navigationsfunktionen.

Vom Koenigsegg Jesko sollen ab Ende 2020 insgesamt 125 Kundenfahrzeuge entstehen. Im Vorfeld der Messe in Genf gab es bereits 83 feste Bestellungen. Kurz nach den Pressetagen erhielten wir aus internen Kreisen die Information, dass inzwischen alle Exemplare vorbestellt sind.

Bilder: Koenigsegg, Martin Juul, Matthias Kierse