Hudson Italia

Die großen Drei aus Detroit sind bis heute bekannt. Falls nicht: Es handelt sich um Ford, Chevrolet und Chrysler. Neben den diversen Marken, die zu den jeweiligen Konzernen gehören, gab es jedoch im Laufe der Zeit immer wieder weitere Autohersteller aus den USA, die heute mehr oder weniger in Vergessenheit geraten sind. Unter anderem begründete Joseph Lowthian Hudson 1909 seine Firma Hudson Motor Car Co., ebenfalls in Detroit. Schon bald waren die Modelle seines Hauses für innovative Technologien bekannt. Während Punkte wie eine ausgewuchtete Kurbelwelle, ein Anlasser oder Warnleuchten für die Lichtmaschine und den Öldruck heute so selbstverständlich sind, dass sie nicht einmal eine Randnotiz in den Verkaufsbroschüren erhalten, waren sie damals technisches Neuland.

Durch eine Jahresproduktion von mehr als 300.000 Fahrzeugen arbeitete sich Hudson bis Ende der 1930er sogar auf den dritten Platz der US-Hersteller hinter Ford und Chevrolet hoch. Daneben existierten die Tochterfirmen Essex und anschließend Terraplane, um preisgünstige Autos anbieten zu können, ohne den Ruf der Marke Hudson zu beschädigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschliefen die Verantwortlichen allerdings ein wenig den technischen Fortschritt, wodurch die angebotenen Modelle ziemlich schnell veralteten. Dennoch war speziell der Hornet schnell und sportlich. Daher war er die erste Wahl für die aufkommende NASCAR-Serie, wo besonders Dick Rathmann mit 13 Siegen zwischen 1951 und 1958 überzeugen konnte. Später führten diese Erfolge zur Einführung von Doc Hudson im Disney Pixar’s Film Cars. 1954 fusionierte Hudson mit Nash Motors zur American Motors Corporation (AMC). Kurz darauf wurde die Produktion der Hudson-Modelle eingestellt und stattdessen einige Nash mit Hudson-Logos verkauft.

Eine glorreiche Ära ging also zu Ende. 2019 jährt sich die Firmengründung zum 110. Mal. Daher finden wir es angebracht, einen Blick auf eines der letzten Werke zu werfen, das nicht als Retter geplant war, aber ein wenig Glamour in die angestaubte Modellpalette hätte bringen sollen. Warum dies nicht in gebotener Weise passierte, wird ebenfalls aufgeklärt. Bereits in den ersten Jahren der 50er war klar, dass Hudson dringend eine neue Modellpalette brauchen würde, um zu überleben. Doch die Finanzen waren aufgrund eingebrochener Absatzzahlen entsprechend klamm und so entstand einstweilen nur der neue Jet, der für amerikanische Verhältnisse beinahe als Kleinwagen durchging und gegen den Nash Rambler antreten sollte. Dank selbsttragender Karosserie mit zwei oder vier Türen und einem 104 PS starken Reihensechszylindermotor mit 3,3 Litern Hubraum hatte er durchaus sportliche Gene. Zudem war er relativ sparsam, was Hudson über die US-Händler mit dem ‚Teetassen-Test‘ vorführen ließ.

Hierfür schickte die Marketingabteilung von Hudson jedem Händler ein Paket mit speziellen Schläuchen, Ventilen und Glaszylindern, die im Motorraum am Vergaser und an der Innenseite der Beifahrertür montiert wurden. Dann wurde in den Glaszylinder, der etwa die Menge einer handelsüblichen Teetasse aufnehmen konnte, Benzin gefüllt. Bei der anschließenden Testfahrt konnte der Verkäufer dann den Kunden vorführen, wie weit der Hudson Jet mit einer so geringen Menge Benzin fuhr. Aufgrund des antiquierten Designs und des relativ hohen Preises nutzten derartige Mittel jedoch nicht viel, um mehr Kunden zu gewinnen. Beim Design kamen kurz vor Produktionsbeginn diverse Anmerkungen aus der Chefetage von Hudson, speziell vom damaligen Präsidenten A.E. Barit, die letztlich zu einem Auto führten, das mindestens zwei Jahre älter aussah, als es beim Debüt war. Da die amerikanische Kundschaft damals jedoch jährlich neues Design forderte, lag man entsprechend weit hinter den Mitbewerbern zurück.

Irgendwie gelang es jedoch dem hauseigenen Designchef Frank Spring, die Geschäftsführung von der Notwendigkeit eines sportlichen Ablegers des Jet zu überzeugen. Er reiste nach Brüssel, wo er auf Carlo Felice Anderloni von der Carrozzeria Touring aus Mailand traf. Gemeinsam sahen sie sich die technischen Zeichnungen des Jet an und diskutierten ein Sportcoupé auf dessen Plattform, aber mit italienischem Design. Eine entsprechende Designskizze, die beim Mittagessen auf einer Serviette entstand, existiert heute noch im Archiv von Touring. Kurz darauf verschiffte Frank Spring einen kompletten Hudson Jet aus den USA nach Italien. Dort wurden die Fahreigenschaften getestet und anschließend jene Teile entfernt, die für den neuen Entwurf nicht benötigt wurden. Stattdessen enstand in der berühmten Superleggera-Bauweise eine atemberaubende Aluminiumkarosserie über einem Gerüst von dünnen Stahlrohren. Anschließend erhielt das Coupé eine Lackierung in Cremeweiß und wurde auf Borrani-Speichenräder gestellt. Chromdetails unterstreichen die ungewöhnlichen Detaillösungen, beispielsweise die Anordnung der Rückleuchten in je drei Röhren, die in Richtung der hinteren Radhäuser verlaufen.

Auch der Innenraum wurde von Touring gänzlich neu gestaltet und mit einer zweifarbigen Lederausstattung in Rot und Weiß ausgeschlagen. Während die Rückbank zugunsten einer Gepäckablage mit Lederbefestigungsbändern entfiel, baute man vorne eigenständige Sitze mit etwas mehr Seitenhalt ein. Auch das Armaturenbrett entsprach nicht dem Serienfahrzeug und zeigt einen halbrunden Tacho hinter einem Holzlenkrad, das für den Prototyp der Einfachheit halber von einem Alfa Romeo entliehen wurde. Als das Erstlingswerk fertiggestellt war, flog Spring nach Italien, um den Wagen ersten Fahrversuchen zu unterziehen. Anschließend gelangte der ‚Italia‘ getaufte Prototyp in die USA, wo Spring persönlich damit zu verschiedenen Händlern fuhr, um ihn vorzuführen und Vorbestellungen zu generieren. Zudem entstanden einige Werbeaufnahmen und der Italia stand auf diversen Motorshows im ganzen Land.

Geplant waren ursprünglich 100 Exemplare zu einem Grundpreis von 2.000,- US$. Allerdings sollten diese in typischer Weise bei Touring entstehen: Fertige Hudson Jet aus den USA hätten in Mailand zerlegt und mit neuer Karosserie zum Italia werden sollen. Stattdessen landeten jedoch diverse Container mit Bauteilen in Mailand, aus denen Touring erst noch komplette Fahrgestelle bauen musste. Auf diese Weise stieg aufgrund des höheren Aufwands natürlich der Preis auf 4.800,- US$ an, wodurch das Interesse schlagartig sank. Ob es sich bei diesem Vorgehen um schlampig ausgehandelte Verträge oder ein klassisches Missverständnis zwischen den Amerikanern und den Italienern handelte, oder vielleicht sogar die Hudson-Chefetage einen möglichen Erfolg boykottieren wollte, lässt sich heute nicht mehr zweifelsfrei sagen. Auf jeden Fall wurde der bildhübsche Italia unter der neuen Leitung von AMC umgehend aus dem Programm genommen.

Somit entstanden insgesamt lediglich 26 Exemplare des Hudson Italia, wenn man den von uns gezeigten Prototyp mit einrechnet. Bis heute handelt es sich um den einzigen amerikanischen Wagen mit Touring Karosserie. Frank Spring rettete den Prototypen geistesgegenwärtig nach der Übernahme, da er wusste, wie Nash mit Studien und Vorserienautos umging. Somit entging das Fahrzeug der Verschrottung und wechselte in die Garage seines engen Freundes Victor Racz, der es bis zu seinem Tod 1976 behielt. Ein Jahr später verkaufte seine Witwe den Italia an den Hudson-Enthusiasten Ray Pshirer. Er und seine Familie kümmerten sich in den folgenden 36 Jahren um das Coupé, bevor es 2013 an den aktuellen Besitzer ging. In der gesamten Zeit fand niemals eine Restaurierung statt, weshalb der Italia Prototyp heute eine liebenswerte Patina trägt. Nun bietet Hyman Ltd den Wagen für 575.000,- US$ an.

Bilder: Hyman Ltd