Ferrari 365 GTB/4 NART Spider

Im großen Buch der automobilen Geschichten gibt es immer wieder Episoden, die ein Märchenerzähler nicht besser hätte erfinden können. Und doch sind viele von ihnen bis ins kleinste Detail wahr. So auch diese, die drei große Namen zusammenbringt: Ferrari, Giovanni Michelotti und Luigi Chinetti, letzterer am besten bekannt durch sein North American Racing Team (NART) und die Tatsache, dass er von den 1950er bis 80er Jahren Ferrari in die USA importierte. Weniger bekannt ist, dass der in Italien geborene Chinetti selbst als Rennfahrer aktiv war und bei 12 Teilnahmen am 24-Stunden-Rennen von Le Mans dreimal siegreich die Ziellinie überquerte. Hinzu kamen zwei Siege bei den 24 Stunden von Spa-Francorchamps und ein Sieg als Beifahrer bei der Carrera Panamericana. Neben den Rennaktivitäten des NART-Teams ließ der findige Geschäftsmann unter diesem Kürzel auch einige Sonderkarosserien für Ferrari-Straßensportwagen auflegen, wobei der 275 GTB/4 NART Spider bis heute zu den bekanntesten Umbauten zählt.

1974 entschied sich Chinetti zu einer neuen Kleinserie, diesmal basierend auf dem neueren 365 GTB/4 ‚Daytona‘. Er sprach mit dem italienischen Designer Giovanni Michelotti, aus dessen Feder Entwürfe wie der Triumph TR4, diverse frühe Ferrari mit Vignale-Karosserien, der Maserati 3500 GT, der Alpine A106 oder einige Elemente des BMW 700 stammten. Nun sollte er im Auftrag von Chinetti eine offene Variante des Ferrari entwickeln und machte sich direkt ans Werk. Das erste Exemplar wurde noch im gleichen Jahr fertiggestellt und auf dem Turiner Autosalon präsentiert. Im Vergleich zu den folgenden vier Fahrzeugen der Kleinserie zeigte der Wagen zwar bereits die typisch kantige Karosserie, jedoch zusätzlich tief ausgeschnittene Türen und ein Targa-Dach. Nummer zwei diente als Rennversion mit einem geplanten Einsatz bei den 24 Stunden von Le Mans 1975, der kurz vor dem Rennen durch einen Streit zwischen Chinetti und den Rennorganisatoren abgesagt wurde. 1976 bestellte er hingegen drei weitere NART Spider bei Michelotti und schickte dafür entsprechende Basisfahrzeuge zurück nach Italien.

Ein 365 GTB/4 mit Chassisnummer 14299 war darunter, ursprünglich ein grau lackiertes Daytona-Coupé mit rotem Leder, erstausgeliefert im Jahr 1971 durch Luigi Chinetti an einen Dr. Silva. Er tauschte den Wagen irgendwann in den folgenden vier Jahren gegen ein anderes Fahrzeug ein, während Chinetti den Ferrari behielt und nun für den Umbau zum Spider nutzte. Im Speziellen ging es ihm dabei um ein Geschenk an seine Ehefrau Marion. Die Türen zeigten nun gerade Unterkanten der Seitenscheiben und über den Köpfen der Insassen befindet sich ein manuell faltbares, blaues Stoffverdeck als Wetterschutz. Es passt farblich hervorragend zur zweifarbig-blauen Karosserie und dem Interieur in orangefarbenem Leder. Im Vergleich zum Basisfahrzeug verwendete Michelotti zwar die selben Rundinstrumente, arrangierte sie jedoch in einem eigenständigen Armaturenbrett völlig neu. Zudem ließ er ein passendes Hardtop in Wagenfarbe anfertigen.

1977 erreichte der umgebaute Wagen die Geschäftsräume von Chinetti in Connecticut. Drei Jahre später verlieh der Amerikaner den Spider an Michelotti, der ihn auf dem Turiner Autosalon zeigte und anschließend bis 1982 im Automuseum von Le Mans ausstellte. Zudem nahm das Fahrzeug auch am Concours d’Elegance in La Baule teil. Als der Ferrari 1985 in die USA zurückkehrte, war Marion Chinetti bereits verstorben und ihr Witwer entschied sich zum Verkauf. Über Marty Yacobian in Los Angeles ging er zu Richard Gorman in Miami und anschließend an Marv Tonkin. Ab September 1991 gehörte der Spider für 22 Jahre zur Sammlung von Jon Shirley und erhielt in dieser Zeit die Zertifizierung von Ferrari Classiche. Seit August 2013 gehört der besondere Zweisitzer dem aktuellen Besitzer, der ihn nun mit insgesamt lediglich knapp 5.500 Meilen Laufleistung über RM Sotheby’s in Arizona zur Versteigerung anbietet. Dabei dürfte ein Zuschlagspreis zwischen 600.000 und 650.000 US$ erreicht werden.

Bilder: RM Sotheby’s