Ferrari 275 GTB

Ab 1963 begann Ferrari damit, die erfolgreiche 250er Baureihe nach und nach durch neue Modelle zu ersetzen. Den Anfang machte der 330 als eher komfortables Reise-Sportcoupé. Doch auch die sportlich-orientierten Kunden wollten bedient werden, schließlich gab es mit dem Lamborghini 350 GT neue Konkurrenz und auch auf den Rennstrecken bleibt bekanntlich die Zeit nicht stehen. 1964 erschien daher der neu entwickelte 275 GTB, dessen Name sich vom Volumen jedes einzelnen der 12 Zylinder im intern ‚Tipo 213‘ genannten Triebwerk unter der vorderen Haube ableitet: 275 Kubikzentimeter. Insgesamt ergibt sich dadurch ein Hubraum von 3,3 Litern, woraus anfänglich mittels dreier Weber-Doppelvergaser 206 kW/280 PS geschöpft wurden. Damit erreichte man laut Werksangaben eine Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h. In der Rennversion kamen sechs Doppelvergaser zum Einsatz, wodurch die Leistung auf 221 kW/300 PS anstieg. Der Tipo 213 war die letzte Ausbaustufe des von Gioacchino Colombo 1947 entwickelten V12-Motors, der im Ferrari 195 noch mit 1,5 Litern Hubraum debütiert hatte. In den parallel angebotenen Modellen 330 und 500 Superfast steckten bereits neu entwickelte Zwölfzylinder-Aggregate.

Ein klassischer Leiterrahmen aus ovalen und rechteckigen, miteinander verschweißten Rohren dient dem 275 GTB als Grundlage, wobei dessen grundlegende Gestaltung und der Radstand mit dem 250 GT SWB übereinstimmen. Im Gegensatz zum Vorgängermodell verfügt er jedoch über vier einzeln aufgehängte Räder mit doppelten Dreiecksquerlenkern, Schraubenfedern und Teleskopstoßdämpfern rundum. Zudem kamen an allen vier Ecken servounterstützte Scheibenbremsen zum Einsatz. Vermutlich reagierte man bei Ferrari damit auf Entwicklungen bei den Mitbewerbern, allen voran den neuen Nachbarn namens Lamborghini. An der Hinterachse sitzen in Transaxle-Bauweise das manuelle Fünfgang-Getriebe und ein Sperrdifferenzial, während die Kupplung weiterhin direkt hinter dem Schwungrad vorn am Motor verbaut ist.

Über dieses neue Technikpaket zeichnete Pininfarina eine rassige und bis heute viel bewunderte Coupé-Karosserie mit klassischem Fließheck und langer Motorhaube. Seitlich hinter den Vorderrädern und in der B-Säule zeigen sich Entlüftungsschlitze, die zum charakteristischen Merkmal des 275 GTB wurden. Üblicherweise bestand die Rohkarosserie aus Stahlblech, während Türen und Hauben aus Aluminium gefertigt wurden. Allerdings bestellten einige Kunden ihre Fahrzeuge komplett aus dem Leichtmetall, um für Renneinsätze weiteres Gewicht einzusparen. Bis 1965 liefen die Fahrzeuge der ersten Serie vom Band, die heutzutage als ‚Short Nose‘ bekannt sind. Anschließend erfolgte eine Modellpflege, die auf dem Autosalon in Paris 1965 ihre Weltpremiere feierte und neben einer größeren Heckscheibe auch eine verlängerte Frontpartie mit höher angebrachten Stoßstangenecken mitbrachte. Diese Fahrzeuge heißen folgerichtig im Sprachgebrauch von Markenkennern ‚Long Nose‘. Nochmals ein Jahr später löste der 275 GTB/4 mit einem weiterentwickelten Motor mit vier obenliegenden Nockenwellen den 275 GTB ab. Zwischen 1964 und 1966 gab es zudem parallel den eigenständig gestalteten 275 GTS als zweisitziges Cabrio sowie ab 1967 zehn Exemplare des 275 GTB/4 NART Spyder, eine im Auftrag von Luigi Chinetti bei Scaglietti entstandene Kleinserie.

Beim französischen Auktionshaus Artcurial kommt am 17. Juni ein im Juli 1965 gefertigtes und nach Frankreich erstausgeliefertes Auto unter den Hammer. Vom französischen Importeur Franco-Britannic in Levallois-Perret gelangte der Wagen im August des gleichen Jahres zum Erstbesitzer Robert Cuny in Vosges, der ihn bis 1968 behielt und dann gegen einen 365 GT 2+2 eintauschte. Zweitbesitzer wurde Paul Bouvot, seinerzeit Leiter der Designabteilung von Peugeot, großer Bewunderer von Pininfarina und bekannt für seinen exquisiten Autogeschmack. Nach nur einem Jahr kaufte ihm Jean Plisson den 275 wieder ab und behielt ihn bis 1972. Während dieser Zeit gab es ein paar technische Probleme, die Plisson allesamt bei Franco-Britannic beheben ließ. Von 1972 bis 1984 gehörte der 275 GTB zur Sammlung von Raymond Goiffon. Es folgten sechs Monate bei einem Enthusiasten auf Korsika, bevor der Ferrari-Sammler François Lacarelle den Wagen kaufte und sechs anstelle der originalen drei Doppelvergaser montieren ließ. Weitere fünf Besitzer in Frankreich und Belgien folgten. In diesem Zeitraum wurde der Wagen erst gelb umlackiert und schließlich erstmals restauriert. Doch erst ab 2013, als der 275 GTB in die Sammlung von Jean-Pierre Slavic gewechselt hatte, wurde er bei einer umfangreichen Restaurierung durch die Autofficina Carlo Bonini in Italien wieder in den Auslieferungszustand zurückversetzt. Anschließend erfolgte die Ferrari Classiche Zertifizierung. Nun erwarten die Experten des Auktionshauses einen Zuschlagspreis zwischen 1.900.000,- und 2.300.000,- Euro. Zum Fahrzeug gehören sämtliche Bordbücher, das originale Werkzeugset sowie eine umfangreiche Dokumentation mit Werkstattrechnungen, Dokumenten und Fotografien.

Bilder: Artcurial, Loïc Kernen