Aurus Senat

Erstmals präsentierte sich auf dem Genfer Salon 2019 mit der Marke Aurus ein russischer Hersteller mit Produkten aus dem Segment der Luxusautomobile und diese Präsentation war schon etwas besonderes. Nachdem der komplette Messestand bis zum Beginn der Pressekonferenz am Nachmittag des 5. März hinter einem schwarzen Vorhang verborgen blieb und nicht ein Detail zu sehen war, öffnete sich dieser pünktlich zur Vorstellung und CEO Franz Gerhard Hilgert, übrigens ehemaliger langjähriger Mitarbeiter bei Mercedes-Benz, zeigte stolz sein Produkt und sein Team. Jetzt werden Sie sich fragen, verehrte Leser, wer oder was bitte ist Aurus? Mit dieser Frage sind Sie selbst unter gut informierten Automobilisten in der großen Mehrheit, denn die neue russische Marke, im vergangenen Jahr erstmals in ihrer Heimat in Erscheinung getreten, ist außerhalb von Putins Reich ein bisher unbeschriebenes Blatt.

Vorab ein paar Worte zur Entstehungsgeschichte der Marke Aurus. Zu Zeiten der Sowjetunion war die automobile Hierarchie der Führungskader geklärt. Der absoluten Spitze von Staat und Partei standen die Produkte der Marke ZIL (Zawod Imeni Lichatschowa) aus Moskau zur Verfügung, ältester russischer Hersteller von LKWs, Bussen und Staatslimousinen. Zum Ende der Sowjetzeit befand sich der 4104 in Staatsdiensten, ein technisch hoffnungslos veraltetes Mobil mit 7,7 Liter großem V8-Vergasermotor, mehr als 3 Tonnen Leergewicht ohne Panzerung und den Trinkgewohnheiten eines Boris Jelzin. Die zweite Garde durfte sich bei GAZ (Gorkowski Awtomobilny Zawod) in Nischni Nowgorod, ehemals Gorki, bedienen, die mit dem Chajka eine etwas kleinere, aber keineswegs modernere Limousine im Programm hatten. Privaten Kunden standen weder der ZIL noch der Chajka zur Verfügung. Beide Modelle finden Sie am Ende unserer dritten Bildergalerie.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Gründung des heutigen Russlands als souveräner Staat griffen die führenden Politiker wie viele Kollegen auf der ganzen Welt zu deutlich moderneren Produkten aus Deutschland, genauer gesagt aus dem Stuttgarter Stadtteil Untertürkheim, um sich und ihre Staatsgäste durch die Hauptstadt zu kutschieren. Bis im Jahr 2012 Vladimir Putin persönlich das Projekt Kortezh in Auftrag gab, das vom russischen Staat mit 12,4 Milliarden Rubel (etwa 167 Millionen Euro) subventioniert wurde. Ziel war die Entwicklung einer einheimischen Staatslimousine, die gleichzeitig auch exportfähig für westliche Märkte sein sollte. Die alleinverantwortliche Führung dieses Projekts wurde dem Moskauer Institut NAMI übertragen, das mit dem Gründungsjahr 1918 als Russlands ältestes Forschungszentrum für Innovationen im Automobilbau gilt. Verschiedene russische Hersteller waren für die Produktion im Gespräch, unter anderem auch ZIL, die allerdings 2013 auf Grund ihrer Insolvenz ausscheiden mussten. NAMI ist heute mit rund 65 % der größte Anteilseigner der Aurus Ltd.

Die erste Präsentation des fertigen Aurus wurde zur Chefsache. Nachdem er 2012 dieses nationale Projekt angestoßen hatte, zeigte Vladimir Putin die neue Limousine erstmals zu seiner vierten Amtseinführung als Präsident der russischen Föderation am 7. Mai 2018, natürlich in der L700 genannten und gepanzerten Langversion. Die war dann auch gemeinsam mit der normalen Variante S600 zum ersten Messeauftritt der neuen Marke auf dem Automobilsalon in Moskau Ende August 2018 zu sehen. Seitdem nutzt der russische Präsident stolz so manche Gelegenheit, um ausländische Staatsgäste wie seinen ägyptischen Kollegen Abdel Fattah el-Sisi eigenhändig am Steuer des Aurus durch Moskau zu chauffieren.

Was können Automobilisten von dem ersten vollständig im Russland der Neuzeit entwickelten Luxus-Automobil erwarten? Zugegebenermaßen fallen einem zuerst automatisch Marken wie Lada, Moskvich und Co ein, wenn man an russische Automobile denkt. Es steigt einem der penetrante Duft von Kunststoffen in die imaginäre Nase und die klebrige Oberfläche dieser Materialien fühlt man quasi an den Händen, ohne sie wirklich in denselben zu haben. Diese weitverbreiteten Vorurteile lassen wir jetzt bitte hinter uns, denn sie gelten schon lange auch für die genannten Marken nicht mehr. Zur Einstimmung auf den ersten Kontakt mit dem Aurus Senat dagegen eignet sich eine vorherige Fahrt in einem Bentley Mulsanne, einem Rolls-Royce Ghost oder einem Mercedes-Maybach S 650, denn damit stimmt man sich auf das Ambiente ein, das einen im luxuriösen Russen erwartet.

Das gilt übrigens für den hochwertig gestalteten Innenraum im gleichen Maß wie für die äußere Erscheinung des Senat. Der Aurus ist ein imposantes Automobil und daraus macht er auch keinen Hehl. Schon der ‚kurze‘ S600 erreicht eine Länge von 5,63 m bei einer Breite von über 2 m, Putins Staatskarosse L700 ist nochmal genau einen Meter länger. Trotzdem ist es den russischen Designern gelungen, dem Senat zumindest in der kurzen Version eine mit stimmigen Proportionen ausgestattete Formensprache zu geben. Das dabei der eine oder andere Blick über den Ärmelkanal in das südenglische Goodwood geschweift sein dürfte, macht schon der erste Blick auf den Senat deutlich. Von der Grafik der Frontscheinwerfer, dem massiven aufrechten Grill bis hin zur abfallenden Linie des Fahrgastraums und der Gestaltung der hinteren Beleuchtungseinrichtungen erinnert doch einiges an die britische Edelmarke mit dem Spirit of Ecstasy auf dem Grill. Trotzdem hat der Aurus einen eigenen Auftritt mit klassischen Linien, die eine Mischung aus Noblesse und Gediegenheit ausstrahlen.

Der edle Eindruck setzt sich im Innenraum fort. Ohne die dezent präsenten Aurus-Schriftzüge würde das Ambiente auch einer der vorher genannten Vergleichsmarken ohne Abzüge gerecht werden. Großzügige und bequem ausgeformte Sitze empfangen Fahrer und Passagiere. Dabei fällt auf, das Aurus den Senat S600 konsequent als Viersitzer ausgelegt hat und auf den mittleren Sitzplatz hinten verzichtet. So genießen alle Passagiere neben einem opulenten Raumgefühl den Komfort von vielfach verstellbaren Einzelsitzen mit entsprechenden Klimatisierungs- und Massagemöglichkeiten, sowohl vorn wie hinten getrennt durch eine massive Mittelkonsole, die hinten aufklappbare Tische sowie in der Lehne eine Kühlbox beinhaltet. Dabei fällt der hochwertige Materialmix auf, den Aurus im Innenraum des Senat verarbeitet. Neben großflächig verwendetem Leder, abgesetzt mit Holzeinlagen, sind bewegliche Teile und Schalter sowie deren Einfassungen aus dem vollen Aluminium gefertigt.

Das Armaturenbrett des Aurus ist eine Mischung aus klassischen Stilelementen wie der mittig angebrachten analogen Zeituhr und den mit Aluminium eingefassten Lüftungsdüsen auf der eine Seite, und moderner Informationstechnik auf der anderen Seite. Vor dem Fahrer liefert ein breites Display alle notwendigen und sekundären Informationen. Dabei ist die Grafik der Anzeigeinstrumente im klassischen Runddesign gehalten. Optisch scheinen Tacho und Drehzahlmesser von einer zierlichen Aluminiumleiste eingefasst, ebenso die in die großen Anzeigen integrierten Anzeigen für Kraftstoffvorrat und Motortemperatur.

Wie bei Aston Martin üblich laufen die Skalen der Instrumente gegenläufig. Zur Reduzierung der Blendwirkung ist die Oberseite des Armaturenbretts auch bei heller Innenausstattung wie beispielsweise beim Messeexponat in dunklem Leder gehalten. Aurus verzichtet glücklicherweise darauf, die komplette Bedienung des Fahrzeugs nur noch über Bildschirme zu steuern. Für die Klimatisierung steht oberhalb der Mittelkonsole eine für Fahrer wie für Beifahrer griffgünstig zu erreichende übersichtliche Bedieneinheit zur Verfügung, in der die 4 Zonen-Klimasteuerung zusammen mit der Sitzklimatisierungs- und Massagefunktionen gesteuert werden können. Die übrigen Funktionen lassen sich zwar wie beispielsweise bei BMW über einen Controller am Bildschirm bedienen, dieser bietet jedoch eine Vorauswahl der Menüs über konventionelle Tasten.

Aurus bietet seinen Kunden umfangreiche Möglichkeiten für Individualisierungen. Das umfasst die Holzarten, Leder- und andere Bezüge und deren Farben und ist nahezu grenzenlos. Im Dialog mit Designern und Ingenieuren können Kunden ihre individuellen Ausstattungswünsche besprechen, sodass sie den Vorstellungen des Kunden entsprechen und quasi einen individuellen Fingerabdruck haben.

Technisch sind die Aurus Senat Modelle von ihren Vorgängern der Marken ZIL und GAZ Chajka in etwa so weit entfernt wie die Sowjetunion vom heutigen modernen Russland. Für den Senat als erste Ausgabe einer kommenden Modellfamilie hat NAMI eine komplett neue Bodengruppe entwickelt, die modernste Elemente beinhaltet. Für den Antrieb der russischen Limousine zeichnet ein 4,4 Liter großer V8-Motor verantwortlich, der in Kombination mit dem an den Hinterrädern befindlichen Elektromotor eine Gesamtleistung von 598 PS über ein Neungang-Automatikgetriebe auf den permanenten Allradantrieb überträgt. Damit erreicht der Aurus Senat S600 eine Beschleunigung von 6 Sekunden im Standardsprint auf 100 km/h und fährt bis zu 250 km/h schnell.

Natürlich verfügt die neue russische Limousine über eine umfangreiche Ausrüstung an Fahrassistenzsystemen wie beispielsweise elektronische Stabilitätskontrolle, Abstandsregeltempomat, automatisches Notbremssystem, System zur Kollisionsvermeidung mit Fußgängererkennung, Verkehrszeichenassistent, Toter-Winkel-Assistent und anderen Systemen zur aktiven Vermeidung von Unfällen. Die Struktur von Chassis und Karosse dagegen ist auf maximale Schadensbegrenzung im Falle eines Unfalls ausgelegt, sodass der Aurus jetzt bereits auf eine Fünf-Sterne-Wertung im EuroNCAP-Crashtest verweisen kann. Ferner sind die Senat Modelle an das ERA-GLONASS-System für die automatische Notfallmeldung angeschlossen. Das bedeutet, dass im Falle eines Verkehrsunfalls Informationen über diesen gesammelt und automatisch an Notrufdienste übermittelt werden. Mitarbeiter von ERA-GLONASS können außerdem manuell per Knopfdruck und mit Hilfe des Infotainmentsystems kontaktiert werden.

Wie geht es weiter mit Aurus, der ersten Luxuslimousine aus Russland? Seit dem vergangenen Herbst nimmt der Hersteller die ersten Bestellungen entgegen und zum 15.02.2019 sind zwei Vertragshändler in Russland ernannt worden. Die ersten Fahrzeuge sind noch von NAMI in Moskau montiert worden. In Zukunft wird die Produktion nach Uljanowsk in ein neues Werk auf dem Gelände des Geländewagenherstellers UAZ verlegt, verständlich vor dem Hintergrund, dass Aurus Anteilseigner PAO Sollers gleichzeitig Besitzer der Anlagen in Uljanowsk ist. Die Produktionskapazität soll im Einschichtbetrieb 5.000 Fahrzeuge im Jahr betragen. Am 18.02.2019 wurde in Abu Dhabi, UAE, eine Vereinbarung über die Beteiligung der Holding Tawazun an der Aurus Ltd. unterzeichnet. Gemäß dieser Vereinbarung erhält die Tawazun 36 % Anteile an der Aurus Ltd. und wird in den nächsten drei Jahren insgesamt 110 Millionen Euro investieren. Diese Mittel werden in den Aufbau der Serienproduktion von Aurus Fahrzeugen und die Vermarktung auf den internationalen Märkten investiert. Ferner soll die Modellfamilie um einen großen Van, der unter dem Namen Arsenal bereits in Moskau unterwegs ist, sowie ein luxuriöses SUV ergänzt werden.

Erste Auslieferungen auf dem Heimatmarkt plant Aurus für das kommende Jahr, ebenso wie die ersten Exporte. Preise und gegebenenfalls Importeure in westeuropäischen Ländern hat der Hersteller auf dem Salon in Genf noch nicht bekanntgegeben.

Bilder: Aurus Ltd, Kay Andresen, Matthias Kierse, Archiv