Alfa Romeo 8C 2900B Touring Berlinetta

Die gesamte Retromobile in Paris ist in diesem Jahr wieder ein Ort, über den Autofans weltweit reden – unabhängig davon, ob sie live dort sind oder lediglich Bilder betrachten. Grund dafür ist die unglaubliche Menge von automobilen Highlights, die sich in den Hallen an der Porte de Versailles versammelt hat. Hinzu kamen weitere Höhepunkte von RM Sotheby’s und Bonhams, die außerhalb des Messegeländes ihre alljährlichen Auktionen abhielten. Doch eine Auktion steht heute (Freitag) Abend erst noch bevor und sie beinhaltet das Fahrzeug, über das wohl am meisten geredet wurde: Einen Alfa Romeo 8C 2900B mit Berlinetta-Karosserie von Touring.

Alfa Romeo präsentierte den 8C 1931 als neues Topmodell oberhalb des erfolgreichen 6C. Die Zahlen stehen dabei für die Anzahl der Brennräume im Motor. Anfänglich hatte der 8C 2,3 Liter Hubraum und war mit zwei verschiedenen Radständen erhältlich. Karosseriebauer wie Zagato, Castagna, Figoni et Falaschi, Vanden Plas, Touring und Pinin Farina standen Schlange, um diese Chassis mit ihren Entwürfen einzukleiden. Sportlich knüpften die Italiener an die Erfolge des 6C an und errangen mit dem 8C 2300 von 1931 bis 1934 viermal in Folge den Gesamtsieg bei den 24 Stunden von Le Mans. Insgesamt entstanden 188 Exemplare des 8C 2300.

Ab 1935 erhöhte man den Hubraum auf 2,9 Liter und benannte den Wagen folgerichtig zum 8C 2900, der auf dem Pariser Autosalon debütierte. Neben Straßenfahrzeugen entstanden auf dieser Basis auch Monopostos für Grand-Prix-Rennen, die größtenteils von der Scuderia Ferrari eingesetzt wurden. Alfa Romeo hatte sich an das Ingenieursbüro von Ferdinand Porsche in Deutschland gewendet, um neue Einzelradaufhängungen für den 6C 2300 und den 8C 2900 entwickeln zu lassen. Auf diese Weise wollte man deutlich konkurrenzfähiger gegen die aufkommende Konkurrenz von Mercedes-Benz und Auto Union sein, gegen die man 1934 wenig ausrichten konnte. Auch der Grundrohrrahmen wurde deutlich versteift im Vergleich zum Vorgängermodell. Das Getriebe wurde mit der Hinterachse verblockt und gemeinsam mit ihr an quer liegenden Blattfedern aufgehängt. Um Schwingungseffekte wirkungsvoll zu reduzieren, entwickelten die Alfa-Ingenieure ein System, das die Federnlänge unabhängig verkürzen konnte.

Die Straßenversion war der schnellste Sportwagen der Vorkriegszeit. Bei der Mille Miglia 1938 erzielte ein Spider eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 178,7 km/h über eine Distanz von rund 250 Kilometern, inklusive Bremsmanövern für Ortsdurchquerungen und Bahnübergänge! Anschließend erzielte er auf der damals ganz neuen Autostrada zwischen Firenze und Livorno über 86,8 Kilometer einen Durchschnitt von 211,4 km/h. Über die genaue Anzahl der gebauten Fahrzeuge bis zum Kriegsbeginn 1938 gibt es widersprüchliche Angaben zwischen 30 und 43 Exemplaren. Im gesamten Jahr 1936 entstanden beispielsweise fast überhaupt keine Automobile bei Alfa Romeo, da man sich auf die Ausrüstung der italienischen Armee in Afrika mit Lastkraftwagen, Flugzeugmotoren und weiterem Equipment konzentrierte. Als 8C 2900A mit kurzem Radstand gab es hauptsächlich Rennfahrzeuge und nur wenige Spider mit Werkskarosserie. Anschließend rollte ab 1937 der 8C 2900B mit wahlweise 2,8 oder 3 Metern Radstand vom Band, dessen Triebwerk zur Leistungssteigerung mit einem Kompressor aufgeladen wurde. Sicher ist hingegen, das nur fünf davon zu Touring kamen, um eine Berlinetta Aluminium-Karosserie zu erhalten. Alle fünf existieren heute noch. Das Coupé debütierte auf dem Pariser Salon 1937.

Der erste Alfa Romeo 8C 2900B Touring Berlinetta, Chassisnummer 412020, stand anschließend noch auf den großen Automessen in Mailand und Berlin, wo er schließlich an einen deutschen Erstbesitzer verkauft wurde. Es folgten die Chassisnummern 412024, 412029, 412035 und 412036. Während der erstgebaute Wagen in den 1950ern in die USA exportiert wurde, dort zeitweise einen Motor vom 6C 2300 trug und nach einer umfangreichen Restaurierung 2018 den Best of Show Preis beim Concours d’Elegance in Pebble Beach erhielt, ging das dritte Fahrzeug an einen Italiener, nach dem Krieg in die Schweiz, wo ein Studebaker-Triebwerk eingebaut wurde und in den frühen 1960ern zurück nach Italien, wo es restauriert wurde und heute im Alfa Romeo Museum in Arese ausgestellt ist.

Nummer vier (412035) lief anfänglich als Werksvorführwagen, ging nach dem Krieg in die Schweiz, dann in die USA, gewann dort das allererste Rennen in Watkins Glen, wurde in den 80ern restauriert und gewann schließlich 2008 den Pebble Beach Concours d’Elegance sowie weitere Preise in Chantilly, am Windsor Castle und an der Villa d’Este. Auf dem Pariser Salon 1938 debütierte das fünfte und letzte Fahrzeug, das anschließend in Mailand erstzugelassen wurde, weiter nach Brescia verkauft wurde und die 1947er Mille Miglia siegreich beendete – allerdings reglementsbedingt ohne Kompressoraufladung. Anschließend stand der Wagen nacheinander bei Sammlern in Argentinien, den USA, Japan und Großbritannien, bevor er schließlich erneut in die USA verschifft wurde. Nach einer umfangreichen Restaurierung gewann er seine Klasse beim Concours d’Elegance in Pebble Beach 2006, verpasste aber die Krone des ‚Best of Show‘.

Wenn Sie aufmerksam gelesen haben, dürften Sie das zweitgebaute Fahrzeug mit Berlinetta-Karosserie von Touring in der oben aufgeführten Aufzählung vermissen. Genau dieser Wagen steht nun bei Artcurial im Rahmen der Retromobile Paris zur Versteigerung bereit. Obwohl bekannt ist, dass die Erstzulassung im August 1938 stattfand, gibt es heute keine Unterlagen mehr über den Erstbesitzer. Im Februar 1939 erreichte das Fahrzeug den Zweitbesitzer in Großbritannien, trug damals blauen Lack und wurde bereits zwei Monate später vom Londoner Alfa-Händler Jack Bartlett mit nur 5.000 Meilen Laufleistung erneut inseriert. Wo dieser Wagen die Kriegsjahre verbrachte ist nicht überliefert. Im zum Fahrzeug gehörenden Logbuch steht als erster Eintrag hinter dem 10. Januar 1947 erneut der Name Jack Bartlett. Es handelt sich allerdings um ein Continuation Log Book, also so etwas wie Ergänzungspapiere, die in England bei mehr als acht Vorbesitzern oder bei Verlust des Originals ausgestellt wurden. Der Eintrag gibt zudem darüber Aufschluss, dass der Alfa inzwischen silbern umlackiert wurde.

Im Juli 1947 gewann Bartlett mit dem 8C einen von zehn Preisen beim Concours d’Elegance im Woodcote Park, im September beim Concours an der Regent Street in London die Klasse der geschlossenen Wagen zwischen 1931 und 1940 sowie im Jahr darauf die Klasse der Fahrzeuge mit mehr als 16 versteuerbaren PS, gebaut zwischen 1934 und 1940 beim Concours von Eastbourne. Nach einem Artikel im Motor-Magazin wurde der 8C 1949 verkauft. 1951 wechselte er erneut innerhalb Großbritanniens in die Hände von Lord Ripley. Nach dessen Tod kaufte Nigel Mann aus Südfrankreich 1964 den Sportwagen und ließ ihn rot lackieren. 1976 kaufte ihn der heutige Besitzer aus den Niederlanden. Bis heute erhielt dieser 8C 2900B nie eine komplette Restaurierung, sondern wurde von den jeweiligen Fahrern nur technisch auf dem bestmöglichen Stand gehalten. Artcurial erwartet nun im Rahmen der Auktion einen Zuschlagspreis im Bereich zwischen 16 und 22 Millionen Euro. Interessierte Bieter mussten sich bis spätestens 48 Stunden vor Auktionsbeginn beim Auktionshaus anmelden.

UPDATE: Ein privater Sammler aus den USA erhielt den Zuschlag für 16.745.600,- € inklusive Aufgeld. Damit zählt dieser Alfa Romeo 8C zu den teuersten Vorkriegsautos, die jemals versteigert wurden.

Bilder: Artcurial, Dirk de Jager, Xavier de Nombel, Christian Martin, Motorsport Images, Geoffrey Goddard Collection, Terry Cardy Collection