90 Jahre Opel RAK 2

Wir schreiben den 23. Mai 1928, es ist 10:00 Uhr am Vormittag, bestes Wetter und an der AVUS in Berlin sammeln sich rund 3.000 geladene Gäste, Journalisten und Schaulustige, darunter berühmte Persönlichkeiten wie Max Schmeling (Boxer), Joachim Ringelnatz (Dichter), Lilian Harvey (Schauspielerin), Thea von Harbou (Schauspielerin), Fritz Lang (Regisseur) und Carl Jörns (Rennfahrer). Vor ihren Augen und laufenden Kameras schreiben eine Firma und ein Fahrer Automobilgeschichte. Erstmals legt ein raketenbetriebener Wagen die lange Hauptgerade der ‚Automobil-Verkehrs- und Übungs-Straße‘ zurück, durchfährt die überhöhte Nordkurve und kommt auf der Gegengeraden schließlich zum Stehen. Es stammt von Opel, hört auf das einfache Kürzel RAK 2 und wird vom Enkel des Firmengründers, Fritz von Opel gesteuert. Aufgrund seiner großen Leidenschaft für Raketenantriebe erhielt er im Volksmund bald den Spitznamen ‚Raketen-Fritz‘.

Sein Gefährt, der einzigartige RAK 2, zeigt sich als schwarz lackierte Zigarre mit Flügeln hinter den Vorderrädern und 24 Feststoffraketen am Heck. Sie zünden stufenweise per Fußpedal elektrisch, liefern rund sechs Tonnen Schub und katapultieren Fritz und den Opel auf eine Höchstgeschwindigkeit von 238 km/h – neuer Weltrekord! Während die Karosserie speziell hergestellt wurde, stammt das Fahrgestell beinahe unverändert von einem Opel 10/40 PS. Insgesamt brachte das Rennfahrzeug lediglich 560 Kilogramm auf die Waage. Fritz von Opel erinnerte sich nach der Fahrt: „Ich trete auf das Zündpedal. Hinter mir heult es auf und wirft mich vorwärts. Ich trete nochmals, nochmals und – es packt mich wie eine Wut zum vierten Mal. Seitwärts verschwindet alles. Die Beschleunigung ist ein Rausch. Ich überlege nicht mehr. Die Wirklichkeit verschwindet. Ich handele nur noch im Unterbewussten. Hinter mir das Rasen der unbändigen Kräfte.“ Dass er überhaupt noch etwas sagen konnte, verdankt er seinem fahrerischen Können. Der Wagen bäumte sich in der Nordkurve auf, da die Flügelchen nicht genügend Abtrieb generierten – willkommen in der Frühzeit aerodynamischer Hilfsmittel. Dieses Detail geht jedoch im Jubelsturm des Publikums unter, Opel galt direkt als innovativster Autohersteller der Welt und das Raketenzeitalter war im Automobilbau angekommen.

Die Geschichte dieses Weltrekordes reicht bis in den Herbst 1927 zurück und beginnt mit einer Unterhaltung zwischen Fritz von Opel und dem österreichischen Publizisten und Astronomen Max Valier. Er überzeugt den Deutschen, sich an der aufkommenden Raketenforschung zu beteiligen und damit neben seiner eigenen Leidenschaft auch die Innovationsfreude der Marke Opel unter Beweis zu stellen. Um möglichst schnell gute Ergebnisse zu erzielen, holte man mit Friedrich Sander einen Experten für Signalraketen mit an Bord. Im März 1928 rollt der erste Opel RAK (in späteren Publikationen RAK 1 genannt) auf die firmeneigene Teststrecke in Rüsselsheim. Das Fahrzeug basiert auf einem Opel 4/12 PS, besitzt zwölf Sander-Raketen mit rund 40 Kilogramm Sprengstoff als Antrieb am Heck und zeigt bereits kleine Flügelchen hinter den Vorderrädern. Werksfahrer Kurt Volkhart erreicht damit am 11. April innerhalb von acht Sekunden Tempo 100. Da die Strecke für viel höhere Geschwindigkeiten nicht tauglich war, gleichzeitig jedoch das positive Medienecho riesig ausfiel, entschied man sich zum Bau des windschlüpfigen RAK 2 nebst Rekordversuch auf der AVUS.

Nach dem großen Erfolg mit RAK 2 setzten Fritz von Opel und Friedrich Sander ihre Experimente fort. Das nächste Fahrzeug hörte folgerichtig auf den Namen RAK 3, war jedoch kein Automobil mehr. Stattdessen stellten sie es als raketenbetriebene Draisine auf einen schnurgeraden Schienenabschnitt bei Burgwedel. Hier erreichte man am 23. Juni 1928 mit 256 km/h einen Geschwindigkeitsrekord für Schienenfahrzeuge. Es folgten erfolglose Versuche mit einem raketenbetriebenen Motorrad, der Motoclub, und schließlich diverse Einsätze des Raketenflugzeugs Opel-Sander RAK 1 (das nach richtiger Zählung eigentlich RAK 5 hätte heißen müssen). Am 30. September 1929 hebt Julius Hatry in Frankfurt/Main zum ersten öffentlichen und bemannten Raketenflug der Welt ab. In der folgenden Weltwirtschaftskrise stellen Opel und Sander ihre Versuche endgültig ein. In unserer Bildergalerie finden Sie neben einem extra von Opel zum 90-jährigen Jubiläum aufwändig nachcolorierten Pressebild auch Aufnahmen von RAK 1, RAK 3 und dem Flugzeug Opel-Sander RAK 1.

Bilder: Opel