70 Jahre Porsche Werksabholung

Wenn man sich durch den Neuwagenkonfigurator auf der Porsche-Webseite klickt, kommt man kurz vor der Fertigstellung des virtuellen Autos zu einem Punkt, den viele deutsche Autohersteller anbieten: die Werksabholung. Bei Porsche ist diese wahlweise am Stammwerk in Stuttgart Zuffenhausen oder am Zweigwerk in Leipzig möglich. Was heute für viele Kunden zu einem selbstverständlichen Service geworden ist, hat eine lange Tradition. Diese begann bereits vor 70 Jahren. Porsche war Ende 1949 aus dem österreichischen Gmünd nach Stuttgart zurückgekehrt und hatte in Hallen neben der Karosseriebaufirma Reutter die neue Produktion für den 356 aufgebaut. Dazu kamen Abteilungen für Reparaturen, Entwicklung und Konstruktion. Am Gründonnerstag 1950 rollte der erste 356 aus Stuttgarter Produktion ins Freie. Etwas später, am 26. Mai, erfolgte schließlich die erste Werksabholung durch Dr. Ottomar Domnick.

Einer der ersten Lehrlinge des Hauses war 1943 Herbert Linge, der in unserer Bildergalerie zweimal auftaucht und bis heute aus der frühen Zeit des Unternehmens gern berichtet. Er ging im Krieg mit nach Gmünd und kehrte als einer der ersten Mitarbeiter nach Zuffenhausen zurück, um Vorbereitungen für den Serienanlauf des hauseigenen Sportwagens zu treffen. „Ich habe mit 14 Jahren in der ersten Lehrwerkstatt von Porsche begonnen. Wir waren damals sechs Mechaniker und zwei technische Zeichner. Ferdinand Porsche lief häufig mit wichtigen Gästen an unserer Werkstatt vorbei. Jedes Mal ließ er seine Gäste kurz warten und begrüßte uns. Das werde ich nie vergessen“, erzählt Linge, der sich noch an jede Werksabholung erinnert. „Domnick hat die Übergabe seines Porsche 356 richtiggehend zelebriert. Aber er kam ohnehin schon jeden Tag zuvor vorbei, um zu sehen, wie weit wir mit der Arbeit waren. Auch Ferry Porsche schaute kurz vorbei, als der Arzt seinen Sportwagen in Empfang nahm.“

Dr. Domnick war ein 43-jähriger Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, der es sich sehr gewünscht hatte, der allererste deutsche Porsche-Kunde zu sein. Sein Kaufvertrag, den er am 19. November 1949 bei der Hahn Motorfahrzeuge GmbH in Stuttgart für einen 356 als Coupé im Farbton ‚Fischsilber‘ abgeschlossen hatte, ging bei Porsche in die Bestellbücher mit der Kommissionsnummer 5001 ein. Das Bestellformular trägt ein von Hand durchgestrichenes Volkswagen-Logo, da es zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Vertriebsnetz für Porsche gab. Bevor Dr. Domnick das Auto übernahm, lud ihn Herbert Linge auf die finale Abnahmefahrt ein, die er vom Beifahrersitz aus genoss. Anschließend schenkte er den beteiligten Porsche-Mitarbeitern Sekt ein und freute sich sichtlich über seinen neuen Sportwagen.

Heute leitet Tobias Donnevert die Abteilungen Werksabholung und Sales Operations Individualisierung in Zuffenhausen. Gemeinsam mit seinem Team begrüßt er bis zu 20 Kunden pro Tag zur Werksabholung, 2019 insgesamt rund 2.500. Parallel dazu waren es in Leipzig im vergangenen Jahr sogar fast 3.000 Kunden. Wie vor 70 Jahren erfolgt die Bestellung der Fahrzeuge beim Händler vor Ort oder alternativ bei den Experten von Porsche Exclusive in Zuffenhausen. Am Tag der Abholung gibt es auf Wunsch eine Führung durch die Produktion sowie am Stammwerk zusätzlich durch das Porsche Museum. In Leipzig kann man hingegen ein paar Runden auf der FIA-zertifizierten Renn- und Teststrecke drehen. Anschließend geht es in einen gut ausgeleuchteten Raum, wo der Kunde einen ersten Blick auf seinen neuen Sportwagen werfen darf, den er bis zu diesem Zeitpunkt allenfalls von Computerretuschen und Farbtafeln. „Dieser Moment gehört dem Kunden ganz allein“, erklärt Tobias Donnevert. In Porsches Jubiläumsjahr 2019 erfolgte die erste Auslieferung eines elektrischen Taycan an einen Kunden aus Deutschland.

Bilder: Porsche, Sammlung Domnick