55 Jahre Porsche 911

Normalerweise blicken wir von Secret Classics in unserem Magazin auf Autojubiläen zurück, wenn ein bestimmtes Modell 25 Jahre alt wird oder ab dem Erreichen des H-Kennzeichenalters (30) in Zehn-Jahres-Schritten. Nun besagt die Überschrift über diesem Artikel aber, dass der Porsche 911 55-jähriges Jubiläum feiert. Dies allein wäre also noch kein Grund, die Geschichte des Heckmotor-Sportwagens näher zu beleuchten. Allerdings wird Porsche morgen in Los Angeles die achte Modellgeneration mit dem internen Kürzel 992 präsentieren und verschickte daher in der zurückliegenden Woche täglich eine Kurzübersicht zu jeder vorherigen Modellgeneration. Daher geben wir an dieser Stelle gern ebenfalls einen kleinen Einblick in die 911er Geschichte, ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen.

Alles begann auf der IAA 1963, wo der Nachfolger des Porsche 356 als 901 debütierte. Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit Peugeot benannte man das Modell nach nur wenigen gebauten Exemplaren in 911 um. Unter der Motorhaube saß im Gegensatz zum Vorgängermodell ein Sechszylinder-Boxermotor, dessen Hubraum im Laufe der Produktionszeit von 1.991 auf bis zu 2.687 Kubikzentimeter im Carrera RS 2.7 anstieg. Ansonsten gab es diverse Leistungsstufen zwischen 110 und 210 PS in 911, 911 L, 911 T, 911 S, 911 E, 911 R, 911 S/T und schließlich im 911 Carrera RS. Dazu kamen diverse Rennvarianten. Neben dem Coupé bot Porsche ab 1965 das erste ‚Sicherheits-Cabriolet‘ der Welt in Form des 911 Targa an, dessen Name vom berühmten Langstreckenrennen auf Sizilien, der Targa Florio abgeleitet wurde. Bis 1973 liefen 111.995 Exemplare aller Varianten des Ur-911 in Zuffenhausen vom Band.

Noch während die finalen Fahrzeuge des 911 Carrera RS 2.7 produziert wurden, hatte man in Zuffenhausen die restliche Fertigung auf einen deutlich überarbeiteten 911er umgestellt, der heutzutage als ‚G-Serie‘ bekannt ist. Dieser Name bezieht sich auf ein Mitte 1967 begonnenes, Porsche-internes Verfahren der Namensgebung für jedes Modelljahr mit einem alphabetisch geordneten Buchstaben. War man also 1973 noch bei F, folgte 1974 das G. Streng genommen dürften also nur 911er als ‚G-Serie‘ bezeichnet werden, die zwischen den Werksferien 1973 und 1974, also im Modelljahr 1974 vom Band liefen. Von außen unterscheidet er sich durch neue, in die Karosserie integrierte Stoßfänger mit charakteristischen, schwarzen Faltenbälgen von den bisherigen Fahrzeugen. Der Grund hierfür waren neue US-Sicherheitsvorschriften, laut denen Neuwagen vorn und hinten einen Aufprall mit 8 km/h ohne sichtbare Schäden überstehen mussten. Weitere Sicherheitsdetails sind die serienmäßigen Dreipunktgurte, integrierte Kopfstützen an den Vordersitzen und ein Sportlenkrad mit Pralltopf. Hinzu kommt eine vollverzinkte Karosserie. Motorseitig geht es mit dem 2,7 Liter großen Triebwerk los, der in der Vorgänger-Generation nur das Topmodell Carrera RS befeuerte. Später steigt der Hubraum erst auf drei und dann auf 3,2 Liter an, was im SC RS bis zu 250 PS ermöglicht. Noch mehr Leistung gibt es ab 1974 im ersten 911 Turbo, der anfänglich mit drei Litern Hubraum 260 PS erreicht und schließlich ab 1977 mit einer Hubraumerweiterung auf 3,3 Liter auf glatte 300 PS kommt. Damit handelte es sich damals unzweifelhaft um einen Supersportwagen, der mehr als 260 km/h Höchstgeschwindigkeit erzielte und nach nur 5,2 Sekunden bereits die 100er Markierung im Tacho überschritt. Neben dem Coupé und dem Targa erfolgte 1982 die Einführung des ersten werksseitigen 911 Cabriolets sowie 1989 zur Verabschiedung der G-Serie die Premiere des raren 911 Speedster. Nach 198.496 Exemplaren stellte Porsche die Produktion auf das Nachfolgemodell um.

Die pure Existenz der 964 genannten, dritten 911-Generation stand lange Zeit in den Sternen. In den späten 1970ern und frühen 80ern gab es in Zuffenhausen diverse leitende Mitarbeiter, die an einer Ablösung der Sportwagenlegende durch neue Modelle wie den 928 arbeiteten. Aufgrund diverser Entwicklungen im internationalen Automarkt hielt man das 911-Konzept für antiquiert und überholt. Je mehr allerdings die Kundschaft von diesen Plänen Wind bekam, umso mehr stiegen die Verkaufszahlen des Elfers an. Entsprechend machten sich einige Techniker an die Weiterentwicklung und erarbeiteten die nächste Generation mit dem Kürzel 964. Direkt die erste Variante, die von Porsche 1988 präsentiert wurde, zeigte, dass man Tradition und Moderne verknüpfen wollte. Die klassische Silhouette mit stehenden Scheinwerfern erhielt nun nahtlos integrierte Stoßfänger und am Heck findet sich ein automatisch ausfahrender Heckspoiler, während unter der Karosserie im Carrera 4 erstmals ein permanenter Allradantrieb in diese Baureihe einzog. Außerdem gehörten eine Servolenkung und ABS nun zum Serienumfang. Wie beim Vorgänger gab es den 964 als Coupé, Cabriolet und Targa sowie 1993 als exklusiven Speedster. Mit 3,6 Litern Hubraum steigt die Leistung der Saugermodelle auf 250 PS, während der Turbo erst einmal das auf 320 PS leistungsgesteigerte Triebwerk des Vorgängermodells erhielt. Im Turbo S kletterte die Kraft auf 381 PS, bevor der Hubraum auf 3,6 Liter angehoben wurde und damit 360 PS bereitstanden. Zum Modellwechsel im Oktober 1993 verließ der letzte von 63.762 gebauten Porsche 964 die Produktion.

Nachdem die drohende Gefahr der Produktionseinstellung des 911 ebenso abgewendet werden konnte, wie eine komplette Schließung der Marke Porsche, konnte die Arbeit an der vierten 911-Generation beginnen. Nur fünf Jahre nach der Markteinführung des 964 begann im Oktober 1993 die Fertigung des 993. Erstmalig gab es größere Eingriffe in die Optik, die sich beispielsweise durch flacher liegende Scheinwerfer ausdrückten. Erstmals wurden die Seitenscheiben bündig eingefasst, während das Heck durch ausgestellte Radhäuser deutlich maskuliner auftrat. Ein neues Fahrwerk aus Aluminium mit Mehrlenkerhinterachse brachte noch mehr Fahrdynamik bei verbessertem Federungskomfort. Anfänglich gibt es den Neuling ausschließlich als Coupé und Cabriolet. Erst 1995 debütierte der neue Targa, der nun jedoch kein herausnehmbares Dachteil mehr zeigte, sondern streng genommen ein riesiges Glasschiebedach, das elektrisch unter die Heckscheibe gleitet. Der letzte luftgekühlte 911 kommt anfänglich mit 272 PS auf den Markt. Ab 1995 stehen 285 PS in den Datenblättern, wobei optional eine Werksleistungssteigerung (WLS) mit 300 PS erhältlich war. Derweil erhielt der 993 Turbo erstmals den permanenten Allradantrieb sowie zwei Turbolader und erzielte damit eine Leistung von 408 PS, die über zwei Werksleistungssteigerungen auf wahlweise 430 oder 450 PS gebracht werden konnten. Letzterer Wert fand sich auch in den Datenblättern des äußerst seltenen, heckgetriebenen 993 GT2 mit angenieteten Kotflügelverbreiterungen. Nach 68.881 Fahrzeugen endete 1998 die Fertigung von luftgekühlten Sportwagen in Zuffenhausen.

Auf das heutzutage meist begehrte 911-Modell folgte direkt das unbeliebteste. Ob zurecht oder nicht liegt klar im Auge des Betrachters. Erstmals wandte man sich nach 34 Produktionsjahren vom Prinzip der Luftkühlung ab und entwickelte einen neuen, anfangs 3,4 Liter großen Sechszylinder-Boxermotor mit Wasserkühlung. Dieser ist einer der Gründe, warum der 996 weniger Beliebtheit errang, da es anfänglich einige Probleme mit der Haltbarkeit gab. Zudem ist die 3,4er Version ein wenig schwächer auf der Brust als der spätere 3,6er, was sich aus den reinen Daten von 300 zu 320 PS allein nicht herauslesen lässt. Per WLS sind es schließlich sogar 345 PS, während der 996 Turbo auf 420 PS kommt, die im Turbo S auf 450 und im GT2 sogar auf 483 PS ansteigen. Als zweiten Grund für ausbleibendes Interesse im Klassikermarkt gilt die Optik. Porsche verlegte die Standlichter, Nebelscheinwerfer und Blinker in ein gemeinsames Gebilde mit den Scheinwerfern und erschuf damit die ‚Spiegeleier‘, wie der Volksmund schnell schimpfte. Durch eine Modellpflege 1998 entfielen die orange eingefärbten Gläser der Fahrtrichtungsanzeiger, 2002 sorgte ein grö0eres Facelift für die Übernahme der Klarglasscheinwerfer mit ‚Tränensäcken‘, die bis dahin nur der Turbo getragen hatte. Im Topmodell GT2 führte Porsche erstmals Carbon-Keramik-Bremsscheiben mit einer deutlich erhöhten Haltbarkeit im Vergleich zu Stahlscheiben ein. Obwohl der 996 heute zu den weniger gesuchten Modellen zählt, war er zwischen 1997 und 2005 durchaus ein Verkaufserfolg und wurde weltweit 175.262-mal ausgeliefert.

2004 erfolgte die Markteinführung des 997 getauften 911 der sechsten Generation. Im Laufe der Produktion gab es ihn in sovielen Varianten, wie noch nie zuvor. Neben Coupé, Cabriolet und Targa brachte Porsche auch einen Speedster sowie den limitierten Sport Classic mit eigenständigem ‚Double Bubble‘-Dach. Zudem erreichte die Leistungsstufenauswahl mit Carrera 2, Carrera 4, Carrera GTS, Turbo, Turbo S, GT3, GT3 RS, GT3 RS 4.0, GT2 und GT2 RS einen neuen Höhepunkt. Optisch kehrte man zu den klassischen runden Scheinwerfern ohne ‚Spiegelei‘-Einfassung zurück, die nach der Modellpflege 2008 mit Bi-Xenon-Technik und zusätzlichen LED-Tagfahrleuchten in der Frontschürze aufwarten. Unter der Haube sitzt weiterhin ein Sechszylinder-Boxertriebwerk mit 3,6 oder 3,8 Litern Hubraum und mindestens 325 PS. Nach oben markieren der Turbo S mit 530 und der streng limitierte GT2 RS mit 620 PS die Spitzenwerte. Während im Turbo S erstmals ausschließlich das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe erhältlich war, umrundete der manuell geschaltete GT2 RS die Nordschleife des Nürburgrings in einer damals neuen Bestzeit von 7:18 Minuten. Auch bei der Produktionszahl erreicht der 997 einen neuen Rekord für den 911er: 2012 endet die Fertigung nach 213.004 Exemplaren.

Bereits Ende 2011 startete Porsche mit ersten Modellablegern des 991 die Ablösung des 997. Der Neue erhielt einen zehn Zentimeter längeren Radstand und eine nochmals breitere Spur, was insgesamt dem Fahrkomfort zugute kam. Erstmals rückten Konnektivität in Verbindung mit hochauflösenden Displays im Interieur in den Fokus der Entwickler, womit man dem Zeitgeist Rechnung trug. Bis zur großen Modellpflege steckten im Heck wahlweise 3,4 oder 3,8 Liter große Sechszylinder-Saugmotoren in Boxerbauweise mit mindestens 350 PS. 2015 erfolgte die nächste große Umstellung nach der Abkehr von der Luftkühlung: Alle Carrera-Modelle verfügen seither über Biturbomotoren mit 370, 420 (S) oder 450 PS (GTS). Einzig GT3 und GT3 RS vertrauten weiterhin auf klassische Sauger-Triebwerke, während am oberen Ende der Skala mit dem 700 PS starken GT2 RS ein dickes Ausrufezeichen gesetzt wurde. Neben Coupé und Cabrio gibt es erneut einen Targa, der optisch an das Urmodell erinnert, jedoch einen hochkomplexen elektrischen Verdeckmechanismus aufweist. Am 11. Mai 2017 rollte in Zuffenhausen das einmillionste Fahrzeug vom Typ 911 vom Band. Bis zum 31. Oktober 2018 zählte man insgesamt 217.930 Exemplare des 991, wobei die Produktion noch weiterläuft und in 2019 unter anderem noch 1963 Exemplare des neuen Speedster umfassen wird.

Die Erfolgsgeschichte des Porsche 911 ist lang und bunt. Sie wird mit dem neuen 992 unzweifelhaft fortgesetzt. Neben den von uns erwähnten Straßenfahrzeugen gab es stets auch diverse Rennversionen, die in internationalen Rennserien erfolgreich unterwegs waren. Auch in diesem Bereich wird Porsche die hauseigene Kernkompetenz weiterhin ausbauen und auf Basis des 992 neue Varianten präsentieren. Man darf also weiterhin gespannt nach Zuffenhausen blicken.

Bilder: Porsche